Kritik im Schwäbischen Tagblatt am 20.12.07:

 

ERHÄNGEN AM BONSAI

Jede Profibühne wäre froh um diese Inszenierung: „Wir Boni“ warten auf Godot

 

TÜBINGEN(ach). Inzwischen dürfte es sich herumgesprochen haben: Godot kommt nicht. Samuel Becketts „Warten auf Godot“ ist ein Stück ohne Handlung, eine Parabel auf ein sinnloses Leben in einer absurden Welt. Je nach Inszenierung können die vergeblichen Endlosschleifen allerdings schnell in hohl klappernden Leerlauf umschlagen. Umso mehr erstaunen Reife, Ernst und künstlerische Geschlossenheit des Wurfs, den „Wir Boni“ am Dienstag auf der Brechtbau-Bühne vorgelegt hat. Man kann die studentische Theatergruppe nur ermutigen, mit der Produktion auf Festivals und Theatertreffen zu gehen. Jede renommierte Bühne würde diese Inszenierung mit Kusshand nehmen.

Regisseur Frank Seeger weicht nirgends in artifizielle Verfremdungseffekte oder existentialistisches Raunen aus, bleibt ganz nah bei seinen Figuren, gibt sie nie auf. So verliert auch der Zuschauer nie das Interesse an ihnen, auch wenn sie noch so abstoßend und widerwärtig agieren. Die fünf Darsteller(innen) legen dabei eine seltene Bereitschaft zur Selbstentäußerung an den Tag.

Dynamisch gehen Eva Röder (Estragon) und Gundula Weißhaar (Wladimir) in das Endspiel hinein, ein kongenial aufeinander eingespieltes Duo, das immer wieder unerwartete Haken schlägt. „All spots on me!“ und „I´m the one“ steht in Großbuchstaben auf ihren T-Shirts. Damit Godot sie nur ja nicht übersieht. Wenn er kommt. Während sich Wladimir bis zum bitteren Ende an jede noch so fadenscheinige Hoffnung klammert, geht Estragon allmählich vor die Hunde. Der einzige Baum, den sie zum Erhängen hätten, ist ein mickriger Bonsai.

Christine Eiche wagt sich in die Extreme vor: kalt und schneidend gibt sie als „Herrenmensch“ Pozzo Befehle, im nächsten Moment ein heulendes Häufchen Elend. Julia Feigl als Pozzos Sklave Lucky, mit hängendem Kopf und Strick um den Hals, ist eine so erbarmungswürdige geschundene Kreatur, dass es einen graust. Kaum auszuhalten, wenn Pozzo sie anherrscht „Denke, du Schwein!“ und Lucky in greller Todesangst Bildungsmüll herauswürgt. Jeder ist hier Herr und Knecht zugleich, in sich zerrissen und gespalten: Jochen Braun erscheint als „Junge“ in Rock und bauchfreiem Top, eine verstörende Figur, wie von Sarah Kane zusammengeträumt.

In ihrer Konzentration auf Mimik und Sprachgestik kommt die Inszenierung fast ganz ohne Requisiten aus. Vorbildlich ist nicht zuletzt die gewissenhafte Arbeit an der Textdeklamation, die nirgends auswendig gelernt oder halbverdaut dahergesagt klingt, sondern von ganz innen kommt. Dieser Godot ist unerbittlich echt und schlimm, dass einem manchmal die Luft wegbleibt. Aber Seeger lässt seinem Publikum auch immer genug Raum zu befreitem Lachen. Mit diesem Ensemble hätte man noch viel länger gewartet. Egal, auf was.